Er war in einer anderen Welt zu Hause

Wie macht man das, Tag um Tag, Jahr um Jahr sich dem schlimmsten menschlichen Elend auszusetzen, in Krankenzimmern und auf Pflegestationen Sorgen, Schmerzen, Todesangst mitzutragen – und dennoch Hoffnung und Daseinsfreude auszustrahlen? Wie geht das, Menschen leiden und sterben sehen, ihnen den kalten Angstschweiß von der Stirn trocknen, ihre zitternden Hände halten, ihre Verzweiflung spüren – und trotzdem leise und behutsam und unerschütterlich von einem guten Gott erzählen, der niemanden allein lässt und jenseits der Todesschwelle wartet?

Eustachius Kugler

Eustachius Kugler

Woher bezieht jemand wie Eustachius Kugler die Kraft, in der Dunkelheit zu leuchten? Die Klarissen-Kapuzinerin Anna Bresser, längst ist sie auch gestorben und Eustachius in der Ewigkeit wieder begegnet, hat eine sehr schlichte, aber überzeugende Erklärung dafür. Als junge Schwester arbeitete sie in den Regensburger Krankenhäusern der Barmherzigen Brüder und traf dabei häufig den Provinzial, auf den weitläufigen Gängen, im Luftschutzkeller, in der Kapelle. „Wenn ich Nachtwache hatte“, gab sie später zu Protokoll, „ging ich zu ganz verschiedenen Zeiten in die Kapelle und sah sehr oft den Provinzial in einer versteckten Ecke beten.“

Manchmal fragte er sie freundlich: „Wie geht es Ihnen, Schwester?“ Von sich aus wagte sie es nie, ihn anzusprechen. „Ich hatte nie den Mut“, gestand sie schüchtern, „weil etwas ganz Besonderes von ihm ausging und ich den Eindruck hatte, er redet mit Gott … Er war in einer anderen Welt zu Hause.“ Und vermochte wohl gerade deshalb so viel Liebe und kraftvolle Hoffnung in diese Welt herüber zu bringen. Weil er den, dem er in der anderen Welt voller Glück begegnet war, hier in den Unfallopfern, unheilbar Kranken, Schwermütigen und Geistesgestörten wieder fand. Mutter Teresa von Kalkutta umschrieb die Wurzeln ihrer unwahrscheinlichen Durchhaltekraft einmal ganz ähnlich: „In der heiligen Kommunion haben wir Christus in der Gestalt von Brot. In unserer Arbeit finden wir ihn in der Gestalt von Fleisch und Blut. Es ist derselbe Christus. ‚Ich war hungrig, ich war nackt, ich war krank, ich war obdachlos.’“

Frater Eustachius hielt es genauso wie Mutter Teresas Sisters of Charity, in deren Arbeitstag voller Stress und Hetze doch niemals die Anbetungsstunde fehlt. Mittelpunkt der Hauskapelle ist in allen ihren Niederlassungen das Kreuz, an dessen Fuß zu lesen steht Love as Ⅰ loved you, „Liebe, wie ich dich geliebt habe“. Das ist das Geheimnis solcher Christen, die sich entschlossen haben, das Evangelium radikal ernst zu nehmen: In dem hilfebedürftigen Mitmenschen entdecken sie den in Christus zum zerbrechlichen Menschen gewordenen Gott. Wenn sie ihm dienen, dann nicht zuerst aus Pflichtbewusstsein (das schon auch, sonst könnten sie nicht durchhalten), sondern aus Liebe.

Die Gelassenheit, die Eustachius so barmherzig gegenüber fremden Schwächungen und so unempfindlich gegen Kränkungen machte; die unerschütterliche Ruhe, die man später bei Gestapo-Verhören und im Luftschutzkeller an ihm beobachten wird; die aufmerksame Zuwendung zum anderen und das innerliche Strahlen, das seine Gesprächspartner so verblüfft hat – kam das alles nicht daher, dass er sich stets in der Nähe Gottes wusste, getragen von einer Liebe, die alle Schwierigkeiten klein machte und jede Begegnung mit einem leidenden Menschen groß und bedeutsam?

Geschrieben am 19. August 2009

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