Ist Demut peinlich?

Eine gute Bekannte findet den Frater Eustachius durchaus liebenswert und zum Bewundern. Aber diese frommen Geschichten von den Brotkrümeln, die er mit dem angefeuchteten Zeigefinger vom Esstisch aufpickte, um nur ja nichts von den guten Gottesgaben verderben zu lassen, oder von der altbackenen Semmel, die er sich vom Küchenbruder nebst einem harten Ei als Proviant für seine Eisenbahnreisen mitgeben ließ (nicht ohne ein schlechtes Gewissen über so viel fürstliche Verpflegung zu bekunden), die findet sie irgendwie peinlich.

Kann schon sein, dass das heute ziemlich aufgesetzt wirkt, diese demonstrativ zur Schau getragene Liebe zu Armut und Demut. In keiner Eustachius-Kugler-Biographie fehlt die Geschichte vom zerschlissenen „G´wanderl“: Der Provinzial pflegte in einem museumsreifen, zerschlissenen Habit und ausgetretenen, geflickten Schuhen aufzutreten (in Kuglers Grabkapelle in der Regensburger Krankenhauskirche sind die Kleidungsstücke in einer Vitrine zu sehen), auf der Nase eine altmodische Aluminiumbrille.

frater eustachius kugler mit Frater Narzissus Durchschein (links) und Frater Aribert Höfler

Nur mit einer List gelang es dem Konventsschneider, Frater Ulrich, seinem Chef den wenig repräsentativen Habit abzuluchsen: Im Orden gibt es den sinnigen Brauch, dass ein neu eintretender Barmherziger Bruder neben einem funkelnagelneuen Habit auch einen getragenen bekommt, von irgendeinem altgedienten Mitbruder, wie es früher in Familien üblich war. Und so ein Klosterkonvent versteht sich ja auch als Familie.

Also baute sich der Klosterschneider vor Frater Eustach auf und setzte ihm auseinander, für die drei neuen Ordenskandidaten habe er nur zwei gebrauchte Habite zur Verfügung, und jetzt brauche er dringend den vom Provinzial. Eustachius drehte und wand sich und jammerte: „Was, mein G´wanderl, mein schönes G´wanderl soll ich hergeben? Was fang ich denn an mit einem anderen, das ihr mir gebt, das passt mir ja doch nicht!“ Er fügte sich erst auf den schlauen Hinweis, dem Klosterneuling bringe der alte Habit bestimmt Segen.

Freilich: Was kann der stille Frater Eustachius dafür, dass solche Geschichten heute in Büchern und Zeitungsartikeln stehen und beim Seligsprechungsprozess zu Protokoll gegeben wurden? Er hat sich – im Gegensatz zu manchen selbstbewussten „Adabeis“ auch im Raum der Kirche – bestimmt nicht um Veröffentlichungen über seine Person gerissen; im Gegenteil: Als ein Buch über die Bayerische Provinz des Ordens veröffentlicht wurde, fehlte unter den Fotos der Provinzoberen das Bild von Frater Eustachius. Wie sich später herausstellte, hatte er das Foto bei der Durchsicht der Druckvorlagen heimlich entfernt.

Und an eine Seligsprechung hat er nicht im Traum gedacht; seine Pflicht hat er getan, recht und schlecht, wie er meinte, und auf die Barmherzigkeit des guten Gottes vertraut.

Man kann die netten Legenden vom Krümelsammler und Fotovernichter Eustachius Kugler auch ganz anders lesen. Als provozierende Kritik an der auch unter Kirchenleuten verbreiteten Neigung, im Vordergrund stehen zu wollen, eine gute Figur zu machen, beachtet und hofiert zu werden. An der beherrschenden Rolle, die Einkommen, Aufstiegsmöglichkeiten und Sozialprestige bisweilen auch im Klerus und in Ordensgemeinschaften spielen.

Eustachius Kugler, der Menschenfreund, hatte für all das Verständnis. Und stellte doch ganz leise und dezent die provozierende Frage, an der sich ein Leben entscheiden kann: „Die Armut ist die Grundlage des Ordensstandes. Wird sie vielleicht von uns zu wenig geübt?“

Geschrieben am 19. August 2009

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