Mut zum Dienen

„Die vergangene Nacht hat so ein guter, alter Bruder die Nachtwache gehabt“,  erzählten Patienten mehrfach am Morgen ihren Pflegern. „Auch wenn wir noch so oft läuteten, gab er nie das geringste Zeichen von Ungeduld. Er hat uns betreut wie ein Vater!“ Wenn sie dann hörten, der „gute, alte Bruder“ sei der Provinzial Eustachius Kugler gewesen, schämten sie sich, den Ordensoberen so oft belästigt zu haben, der habe wohl Wichtigeres zu tun. Frater Eustachius sah das anders. „Für mich gibt es nichts Wichtigeres als eure Schmerzen und Probleme“, hätte er wohl gesagt. Das war seine Lebenseinstellung und seine Motivation als Ordensmann.

Mut zum Dienen

Mut zum Dienen

Ordensleute sind sonderbare Menschen. Wenn sie noch einen Funken ihrer Ideale aus der Zeit des Klostereintritts in sich tragen und noch nicht völlig desillusioniert und ausgebrannt sind, schaffen sie es tatsächlich, in jedem nervigen Zeitgenossen Christus zu sehen. Christus, den sie lieben und dem sie im notleidenden Mitmenschen begegnen wollen. „Ich will dem lieben Heiland in den armen Kranken dienen“, erklärte Eustachius knapp und schlicht, wie es seine Art war. „Dank dir ewig, mein Gott, für den schönen Beruf!“ Er versuchte sie wirklich alle zu lieben, alle, auch die Mürrischen, die kalt und boshaft Gewordenen, sogar die Quälgeister von der Gestapo, die ihm mit KZ und Folter drohten: „Ach, es sind nur kleine Menschen. Man kann nichts anderes tun als für sie beten.“

Er versuchte alle zu lieben – und war bewusst parteiisch, wenn er die Ärmsten bevorzugte: Damals gab es noch eine „dritte Klasse“ in den Krankenhäusern. Vor allem um die Habenichtse dort solle man sich kümmern, wies er einen Oberkrankenpfleger in Regensburg an. Wenn ein Bischof oder Politiker oder Firmenchef als Patient komme, um den liefen ohnehin schon genug Leute herum, um ihn zu bedienen. Aber die armen Kranken, die hätten eine aufmerksame Pflege am nötigsten!

Deshalb die liebevolle Geduld in den Nächten, weil der fünfmal nacheinander ins höchste Ordensamt Gewählte, der Verantwortung für mehr als 400 Brüder trug, mit vatikanischen Behörden korrespondierte und den Rollkommandos der Gestapo ins Angesicht widerstand, weil dieser über soviel Einfluss und Autorität verfügende Provinzial immer ein „Frater“ bleiben wollte, seinen Ordensgenossen ein solidarischer Mitbruder und den Kranken ein engagierter Diener.

Seinen turnusmäßigen Nachtdienst versäumte Frater Eustachius nie, auch wenn es ihm gesundheitlich schlecht ging. Noch als Greis arbeitete er ganz selbstverständlich in den Regensburger Krankenhäusern der Barmherzigen Brüder mit. Man sah ihn Gemüse putzen, Geschirr spülen, das Essen in den Krankenzimmern austeilen und die Urinflaschen der Patienten leeren. „Wer ist denn dieser alte Herr, der noch so emsig tätig ist?“ wollten Besucher wissen und bekamen von den Brüdern die stolze Antwort: „Das ist unser Provinzial!“

Ein Arbeitgeber, der nicht in der Chefetage thront, sondern denselben Job macht wie seine Angestellten. Ein Vorgesetzter, der sein Leitungsamt brüderlich (wären die Brüder nicht alle Männer, würde man heute sagen: geschwisterlich) ausübt, als Erster unter Gleichen, respektvoll, ermunternd. So etwas gibt es vielleicht wirklich nur unter den „Verrückten“ im Ordensgewand, die den alle Maßstäbe umstürzenden Auftrag Jesu wörtlich nehmen: „Ihr wisst, dass die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein …“ (Mk 10, 42 f).
Schade, dass so wenige den Mut dazu haben.

Geschrieben am 19. August 2009

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