Auf den Schwächsten kommt es an – Eine filmische Annäherung an Eustachius Kugler

So sehr ich mich gefreut habe, einen Film über Eustachius Kugler realisieren zu dürfen, so war ich doch auch etwas ratlos. Dabei hatte ich schon genügend filmische Erfahrungen mit historischen Persönlichkeiten sammeln können: Alfred Delp, Rupert Mayer, Franziskus, Benedikt, die Hl. Elisabeth, Vinzenz Palotti, Abt Pfanner…. das waren alles richtige Helden, Menschen, deren Leben so spannend war, dass die Weise, wie es erzählt wurde in den Hintergrund getreten ist. Und nun hatte ich einen Barmherzigen Bruder vor mir, der – abgesehen von der Gründung eines Krankenhauses – wenig vorweisen konnte. Gut, viel gebetet hat er, aber reicht das? Ich war verunsichert. Da kam die Einladung von Frater Eduard recht gelegen, mich zunächst ohne Kamera zu den Wirkstätten Kuglers zu begleiten: Er zeigte mir Neuhaus, Kuglers Geburtsort und Nittenau mit der Taufkirche. Er führte mich ins Kloster Reichenbach, dem Ort, wo Kugler dem Orden beitrat. Schöne Orte, die sich bei günstigem Licht recht trefflich ins Bild setzen ließen, aber genügte das? Frater Eduard hat mir bei unserer Kugler-Rundfahrt aber auch zwei Menschen vorgestellt.

Max Kronawitter

Max Kronawitter

Da war zunächst seine Großnichte, die Anni. Seit Jahren führt die 80jährige das Fahrradgeschäft ihres Vaters, flickt immer noch Reifen und findet in ihrem Laden Schrauben, die es sonst nirgends mehr gibt. Im Hinterstübchen des Ladens befindet sich ihre Küche. Die Fensterfront gleicht einem Altar: Blumen, Kerzen, Novenenheftchen, eine Madonna und über allem ein Gemälde ihres Großonkels Eustachius Kugler. „Manchmal lacht er“, meint sie schmunzelnd und dann berichtet sie, wie sehr ihr Leben zu einem Dialog zwischen dem verstorbenen Onkel und ihr geworden ist. Zum ersten Mal bekam ich eine Ahnung, dass ich nicht einen Film über eine längst verstorbene Persönlichkeit vor mir hatte, sondern über einen Menschen, der von manchen immer noch ganz real erfahren wird. Am selben Abend besuchten wir einen Handwerksbetrieb bei Reichenbach. Erst erzählte der Geschäftsführer stolz von seinen Verkaufserfolgen in fernen Ländern. Dann schilderte er mit Tränen in den Augen die Tumorerkrankung seiner Tochter. Nachdem er das 8-jährige Mädchen in der Klinik den Operateuren übergeben hatte, ging er an das Grab Kuglers. Seine väterliche Verzweiflung legte er dem einstigen Provinzial Eustachius zu Füßen und rief ihm ohnmächtig zu: „Hilf doch!“ Die Tochter wurde wieder ganz gesund. Und mit ihrer Genesung wuchs die Zuversicht der Familie, in Kugler nicht nur einen Begleiter für alle Lebenslagen, sondern auch einen Firmen-Patron gefunden zu haben. Seither – so der Firmenchef – gehört ein Bild Kuglers genauso in seine Anzugtasche wie das Handy und die Visitenkarte. Am Ende dieser ersten Tour auf den Spuren Kuglers war ich sicher, dass dieser stille Mönch, doch mehr Spuren hinterlassen hat und immer noch hinterlässt, als Gedenktafeln und Institutionen. Spätestens beim Durchblättern der Bücher, die seit Jahren an seinem Grab die Hinwendung zu Kugler in Worte fasst, war mir klar: dieser Mann steht mit Vielen in lebendiger Beziehung.

Ich habe mich gefragt, warum so viele gerade diesen stillen Mönch als ihren Fürsprecher gewählt haben. Keiner würde auf die Idee kommen, sich vor Gericht von einem introvertierten Anwalt vertreten zu lassen, warum also Kugler zum Fürsprecher vor dem höchsten Richter machen? Vielleicht gerade deshalb, weil an Kugler sichtbar wird, dass dort, wohin sich alles Beten richtet, andere Gesetze gelten. „Wer der erste sein will, der werde der Diener aller.“ „Die letzten werden die ersten sein.“ Das Gesetz einer anderen Welt hat Kugler im Diesseits schon gelebt. Kein Wunder, dass man ihm im Jenseits besonders viel zutraut.

Verstorben im Rufe der Heiligkeit, haben die Mitbrüder auf seine Grabplatte geschrieben. Immer mehr bekam ich eine Ahnung, was Kugler zu einem Heiligen macht. Schon sein Leben war ein Gegenentwurf: Wer will nicht für seine Leistungen Anerkennung ernten: als Kugler bei der Einweihung „seines“ Krankenhauses nicht genannt wird, war er nicht einmal enttäuscht. Wer will nicht dafür, dass er besondere Aufgaben übernimmt, von anderen Diensten befreit werden: Selbst als Provinzial hat Kugler noch Kartoffeln geschält und Nachtdienste geschoben. Wer will nicht einen Blick auf die Großen seiner Zeit werfen: Als Hitler am Krankenhaus vorbeifuhr, würdigte er ihn keines Blickes und verwies die Mitbrüder auf die Kapelle, wo man dem wahre Führer begegnet.

Die Aufzählung ließe sich fortsetzten. Kuglers Leben verdeutlicht, dass schon hier auf Erden das Gesetz des Reichs Gottes gelten kann. Je mehr ich mich mit diesem schlichten Ordensmann beschäftigt habe, desto mehr wurde mir klar, dass – obgleich er weder kluge Reden gehalten, noch ein bedeutendes Schrifttum hinterlassen hat – seine Botschaft eindeutiger und überzeugender ist, als es dutzende von Aufzeichnungen je sein könnten. Er selbst war die Botschaft und die war so schlicht, wie das Liebesgebot des Evangeliums. An Kugler wird deutlich, was das Christentum meint: Ganz in dieser Welt und für diese Welt da sein und doch um die Verheißung wissen: Ihr seid nicht von dieser Welt. Damit ist er ein Heiliger. Weil er hier erfahrbar macht, was den Himmel ausmacht.

Geschrieben am 19. August 2009

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